Kommentar |
Recht und Literatur haben miteinander zu tun. Beide sind auf die Kunst der Auslegung angewiesen und vertrauen auf die besondere Wirksamkeit von Sprechakten. Rechts- und Literaturwissenschaft verbindet das Interesse an Sprache und an bestimmten Erzählformen – wie der Fallgeschichte, die sowohl juristisch als auch literarisch von Belang und mit der Gattung der Novelle verwandt ist. Das Seminar wird diese Schnittpunkte ausgehend von literarischen Darstellungen interessanter Rechts- und Kriminalfälle verfolgen. In der Auseinandersetzung mit Schillers Der Verbrecher aus verlorener Ehre, Kleists Michael Kohlhaas und Der zerbrochne Krug, E.T.A. Hoffmanns Das Fräulein von Scuderi, Büchners Woyzeck, Droste-Hülshoffs Die Judenbuche, Melvilles Bartleby und Kafkas Das Urteil werden uns folgende Fragen beschäftigen: Was verrät die literarische Darstellung von Rechtsfällen über Rechtssysteme, Begriffe von Tat und Täterschaft sowie über unterschiedliche Formen der Rechtsprechung und der Bestrafung? Mit welchen historischen Kontexten hängt die Unterscheidung zwischen Schuld- und Schuldunfähigkeit zusammen? Auf welche Weise werden das Verhältnis von Norm und Abweichung und die Trennung von Recht und Unrecht in der Literatur problematisiert? Ist die Herausbildung dieser Unterscheidung per se auf das Erzählen bzw. Medien angewiesen? Hat Literatur die Möglichkeit, blinde Flecke von Urteilen sichtbar zu machen? Wie gelingt das? Bilden Literatur und literarische Erzählformen eigene Vorstellungen von Gerechtigkeit aus, die juristischen Urteilssystemen gerade entgegenstehen? |