Kommentar |
Die Kunst/ Literatur eines untergegangenen Landes unterliegt i.d.R. Bewertungsmustern, deren Kriterien im Fall der DDR aus zwei zentralen Konzepten stammen: aus der Totalitarismustheorie und aus Modernitätskonzepten. Dagegen unternimmt das Seminar den Versuch, mit der (literatur)soziologischen Theorie Pierre Bourdieus die Literatur als „spezifisches, zeitlich beschränktes System kultureller Produktion sowie dessen Verschränkung mit anderen Systemen“ zu beschreiben. Die DDR war eine geschlossene Gesellschaft mit einer Ideologie, die von einer alle gesellschaftliche Bereiche durchdringenden und kontrollierenden politischen Macht/Kaste gesetzt und überwacht wurde. Diese Ideologie gab Autoren wie Lesern den Reflexionshorizont vor, zu dem sie sich in permanentem Bewusstsein von Übereinstimmung, Kritik und Distanz in Beziehung setzten. Zum Literaturbetrieb der westlichen Gesellschaft, auf die Bourdieus Analyse zielt, besteht hier eine grundlegende Differenz. Deshalb muss im Seminar die Anwendung der Bourdieuschen Theorie, d.h. ihrer konzeptuellen Elemente wie der Autor als Unternehmer seiner selbst, die Konkurrenz als Markt, ein bestimmtes Autonomieverständnis, auf die sozialistische Gesellschaft DDR und die Literatur kritisch transformiert werden. Mit historisch spezifischen feldtheoretischen Analysen soll der Prozess der Autonomisierung der Literatur (Entwicklung konkurrierender ästhetisch-poetologischer Konzepte, Rezeption historischer und internationaler Kunstkonzepte, Theoriedebatten), der nach Bourdieu das literarische Feld generiert und der auch für Werke der Literatur in der DDR signifikant war, erfasst werden. |